Führungsherausforderungen in der Zukunft

PD Jürgen Rauch, Hochschule des Bundes für öffentl. Verwaltung

Im Polizei Info Report 03/21 wurde anhand verschiedener Führungskonzeptionen beschrieben, wie sich die Zukunft der Führung auf Grundlage der Kooperativen Führung weiterentwickeln könnte. Vor diesem Hintergrund wurden die folgenden Führungsoptionen vorgestellt, die sich mit der denkbaren strukturellen Ausrichtung der Führung in der Polizei befassen:

  • „KFS 2.0“ – ein soziologisch informiertes Führungsverständnis
  • Das Polizeiliche Führungsmodell der transformationalen Kooperation (PFM)
  • Das Transformationale Personalführungsmodell der Polizei (TPFM)

Mit allen genannten Führungskonzeptionen wird der Versuch unternommen, die Komplexität der heutigen und zukünftigen Führungsherausforderungen zu beschreiben und Handlungsoptionen darzustellen, um diesen Herausforderungen wirkungsvoll begegnen zu können. Dabei werden unterschiedliche Schwerpunkte in der personal-interaktiven als auch in der systemisch-strukturellen Führung identifiziert und mit den sich jeweils daraus ergebenden Handlungsempfehlungen verknüpft.

In diesem Zusammenhang wurde bereits im Polizei Info Report 03/21 durch den Verfasser darauf hingewiesen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gelingen wird, mit einer alleinigen umfassenden Führungskonzeption den heutigen und zukünftigen Herausforderungen im Führungsalltag wirkungsvoll begegnen zu können. Diese Behauptung soll in den folgenden Ausführungen unter verschiedenen Aspekten näher beleuchtet werden, um ein Grundverständnis herzustellen, wie mit diesen komplexen Zusammenhängen im Sinne eines tragfähigen Führungsverständnisses umgegangen werden soll.

„VUCA“ – Umwelt

Der Begriff „VUCA“ entwickelte sich aus der militärischen Strategieplanung der US-Streitkräfte und beinhaltet folgende Begriffe:

  • V =  Volatility (Volatilität bzw. Flüchtigkeit)
  • U =  Uncertainty (Ungewissheit bzw. Unsicherheit)
  • C =  Complexity (Komplexität bzw. Vielschichtigkeit)
  • A =   Ambiguity (Ambivalenz bzw. Mehrdeutigkeit)

Der Grundgedanke dieser Betrachtungen spiegelt die zunehmende Komplexität in allen gesellschaftlichen Bereichen wider, die bei den Menschen zu einer ansteigenden Verunsicherung hinsichtlich der Einschätzung der zukünftigen Entwicklung von gesellschaftlichen Veränderungsprozessen führt. Dabei geht es nicht nur um eine überschaubare Problemstellung, sondern um viele parallel verlaufende Zukunftsherausforderungen wie z.B. die Klimakrise, der demografische Wandel, die Gefahr der Polarisierung und sozialen Spaltung der Gesellschaft, weltpolitische Konfliktlinien im Rahmen der Globalisierung und die Digitalisierung, die sich in ihren Wechselwirkungen auf alle gesellschaftliche Bereiche auswirken. Von vielen Menschen werden diese gleichzeitig verlaufenden Herausforderungen wegen ihrer Komplexität und ihrer Unübersichtlichkeit als Bedrohung angesehen.

Aus dieser Grundproblematik heraus ist es ratsam, die Auswirkungen dieser Zukunftsherausforderungen für den Führungsalltag in der Polizei einer grundlegenden Betrachtung zu unterziehen. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass sich die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, die sich vor dem Hintergrund einer „VUCA“-Umwelt abspielen, auch eine unmittelbare Wirkung auf die Beschäftigten der Polizei haben werden. Wenn man sich die Auswirkungen der gesellschaftlichen und politischen Veränderungsprozesse auf die Arbeitswelt im Allgemeinen und auf den dienstlichen Alltag in der Polizei im Besonderen anschaut, so wird deutlich, dass diese Veränderungen zu einer ständig anwachsenden Komplexität geführt haben. Die verschiedenen Themenfelder sollen in den nachfolgenden Ausführungen näher beleuchtet werden.

Bevor wir in eine solche Einzelbetrachtung übergehen, soll jedoch grundsätzlich auf den Umstand hingewiesen werden, dass sich Führungskräfte in einem immer größeren Ausmaße auf die komplexen Herausforderungen des Führungsalltages hinsichtlich des Erreichens der Organisationsziele und der Gewährleistung der Mitarbeiterzufriedenheit einstellen müssen.

Führungsherausforderungen

In einem Sachstandsbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Führung“ vom Januar 2019 wurden folgende Themenfelder als die wesentlichen Herausforderungen für die Führung in der Polizei identifiziert:

  • Auswirkungen der Digitalisierung
  • Organisationskultur
  • Personalgewinnung
  • Personalentwicklung
  • Rollenverständnis von Führungskräften
  • Aus- und Fortbildung

Die gewählte Reihenfolge der Auflistung von Führungsherausforderungen stellt keine Priorisierung dar, sondern verdeutlicht vielmehr die Komplexität der Führungs-herausforderungen, da diese gleichzeitig und manchmal in unterschiedlicher Dynamik ablaufen. An dieser Stelle soll schon die Ausgangsfrage wieder in Erinnerung gerufen werden, ob eine einzelne Führungskonzeption dieser Komplexität umfassend gerecht werden kann. Bei der nachfolgenden Betrachtung der einzelnen Themenfelder sollten die Lesenden dies bei ihrer eigenen Meinungsbildung immer berücksichtigen.

Auswirkungen der Digitalisierung

Die Folgen der digitalen Transformation in allen Bereichen des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens können in den folgenden Ausführungen nur ansatzweise angerissen und beschrieben werden. Dadurch wird aber schon deutlich, welche fundamentalen Veränderungsprozesse aufgrund dieser Entwicklung im Führungsbereich zu erwarten sind.

Führungskräfte müssen ein Verständnis dafür entwickeln, dass die Digitalisierung ein von dynamischen technologischen Entwicklungen geprägter Transformationsprozess darstellt, der weitreichende strategische, organisatorische sowie soziokulturelle Veränderungen mit sich bringt. Diese Entwicklung wird die Notwendigkeit erfordern, die Grundprinzipien der personal-interaktiven und systemisch-strukturellen Führung in der Polizei grundlegend zu überdenken und neu auszurichten.

Da die Komplexität der Digitalisierung in diesem Artikel in all ihren Auswirkungen nicht darstellbar ist, soll in folgenden Bereichen dies ansatzweise dargestellt werden:

  • Arbeitswelt / Organisation
  • Technologie und Führungsalltag
  • Fehlerkultur
  • Mensch und Gesundheit

Arbeitswelt / Organisation

In polizeilichen Kernbereichen wird in der operativen Aufgabenwahrnehmung der dienstliche Alltag weiterhin durch den Bürgerkontakt und menschliches Wirken von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten geprägt sein. Jedoch sind auch in diesem Bereich die Auswirkungen der Digitalisierung bereits erkennbar, die sich in einem dynamischen Prozess rasant fortentwickeln werden. Sogenannte Online-Wachen, die Unterstützung der Ermittlungs- und Einsatzbereiche durch IT-gestützte Analyse-Tools, der Einsatz von Drohnen, der fortschreitende Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Vernetzung von Kommunikationsmöglichkeiten sollen hier beispielhaft benannt werden, ohne den Anspruch zu erheben, dass dies eine abschließende Aufzählung sein könnte.

Durch die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens werden sich die Kommunikationsstrukturen innerhalb von Polizeiorganisationen grundlegend verändern. Dabei muss möglicherweise die Kommunikation der Einsatzführung und der Personalführung einer differenzierten Betrachtung unterzogen werden. Im Bereich des Führungsprozesses im innerdienstlichen Bereich wird es erforderlich sein, die Zielrichtung der Kommunikationswege im Führungsalltag neu auszurichten.

Die starren Kernarbeitszeiten sowohl im operativen als auch im administrativen Bereich werden zunehmend ein Modell der Vergangenheit sein. Das Arbeiten von unterwegs oder von zuhause wird sich zunehmend zur Normalität entwickeln, wobei Führungskräfte aufgefordert sein werden, die Organisationsziele und die Erwartungshaltung der Mitarbeitenden in einem ausgewogenen Gleichgewicht zu halten. In diesem Zusammenhang soll auch auf die zunehmende Bedeutung der Work-Life-Balance für die Mitarbeiterzufriedenheit hingewiesen werden.

Technologie und Führungsalltag

Die rasanten technologischen Veränderungsprozesse im Rahmen der Digitalisierung erfordern von Führungskräften in der Polizei ein Überdenken vom strukturellen Vorgehen im Rahmen des bisher gewohnten Führungsprozesses. Da die digitalen Veränderungsprozesse oft in ihren Auswirkungen nicht absehbar sind und oft disruptiv hinsichtlich der geplanten Vorgehensweise verlaufen, muss auch an dieser Stelle die Gestaltung des Führungsprozesses neu überdacht werden. Die Einführung digitaler Kommunikations- und Einsatzmittel in den dienstlichen Alltag erfordern ein strukturelles Vordenken bzgl. deren Chancen und Risiken. Die bisherigen, alle denkbaren Risiken ausschließenden Vorgehensweisen im Rahmen des bewährten Führungsprozesses im Sinne der PDV 100 werden der dynamischen technologischen Entwicklung bei den digitalen Veränderungsprozessen nicht gerecht werden können.

Fehlerkultur

Wenn man sich die bisherigen Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Arbeitswelt vor Augen führt, so ist zu erkennen, dass Führungskräfte bei der Gestaltung des Führungsprozesses neue Ansätze finden müssen. Die beruht vor allen Dingen auf dem zentralen Umstand, dass der Einzug von komplexen digitalen Arbeitsprozessen zu einer Minderung der Wirksamkeit von bisher bewährten Führungsgrundsätzen und – instrumenten führt. Das bewährte Führungsverhalten muss kritisch dahingehend überprüft werden, ob unter den bereits beschriebenen VUCA-Bedingungen das angestrebte Ergebnis in einem allein von der Führungskraft vorgedachten und in allen Einzelheiten überprüfbaren Führungsprozess erfolgreich zu gestalten ist.

Die bisherige Strategie bei der erfolgreichen Gestaltung des Führungsprozesses beruht darauf, dass im Vorfeld im Rahmen des Prinzips der Fehlervermeidung Prozessrisiken ausgeschlossen werden oder beim Auftreten von Fehlern mit dem Verursacher schnellst möglich Optimierungsmöglichkeiten umzusetzen bzw. auch zu sanktionieren sind. Wenn jedoch wie bereits beschrieben digitale Prozessverläufe nicht mehr in ihrem Verlauf bzw. in ihrer Wirkung vorherzusehen sind, wird es auch Führungskräften nicht mehr möglich sein, durch entsprechende Regelungen bei der Gestaltung des Führungsprozesses die größtmögliche Fehlervermeidung und in der Folge das angestrebte optimale Prozessergebnis zu erreichen.

Diese Problematik kann nur durch eine ausgeprägte positive Fehlerkultur bewältigt werden, in der bei komplexen Prozessabläufen der Schwerpunkt der Betrachtung auf die Fehlerursachen gelegt wird. Es ist zukünftig nicht mehr die Frage entscheidend, wer einen Fehler verursacht hat, sondern warum dieser Fehler aufgetreten ist. Eine solche Vorgehensweise erfordert ein intensives Nachdenken über die Grundstruktur des Führungsprozesses und eine Neuausrichtung bei der Gestaltung von zunehmend komplexen digitalen Prozessschritten.

Mensch und Gesundheit

Die Auswirkungen der Digitalisierung mit Ihren Chancen und Risiken muss bei der Gestaltung des Führungsalltages zunehmend berücksichtigt werden. Die Erkenntnis, dass sich eine wertschätzende Führungskultur an einer mitarbeiterorientierten Teilhabemöglichkeit, Vertrauensbildung und Führungsverantwortung ausrichten sollte, gewinnt im Zusammenhang mit der digitalen Transformation eine grundsätzlich neue Bedeutung. Zwar ermöglicht die Digitalisierung in Form von flexibilisierten Arbeitszeitmodellen und umfassenden Unterstützungsmöglichkeiten durch digitale Arbeits-mittel eine individuelle Gestaltung bzw. Erleichterung der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden, jedoch sind auch die weniger angenehmen Folgen zu berücksichtigen.

Durch die zunehmende Vernetzung der Kommunikationsstrukturen und die sich daraus ergebende ständige digitale Erreichbarkeit verschwinden zunehmend die klaren Grenzen zwischen dem Berufs- und Privatleben. Die festzustellende Zunahme von psychosomatischen Erkrankungen besonders bei Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten sind ein Indiz dafür, dass Führungskräfte sich verstärkt darüber Gedanken machen sollten, wie sie im Rahmen ihrer Führungsverantwortung das Gesundheitsmanagement für ihre Mitarbeitenden effektiv gestalten können. In diesen Zusammenhang wird neben dem Erfordernis einer digitalen Kompetenz zukünftig auch eine ausgeprägte soziale Kompetenz über den Führungserfolg mitentscheiden.

Organisationskultur

Unter dem Einfluss der bereits zu Beginn des Artikels beschriebenen schnell wachsenden dynamischen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse ergibt sich auch die Notwendig-keit, die Organisationskultur der Polizei an diese Entwicklung anzupassen. Wenn man die Organisationskultur als Teil der systemisch-strukturellen Führung versteht, in der sich die Gesamtheit der formellen als auch informellen Werte, Normen, Leitlinien und Grundhaltungen als Orientierungsrahmen für alle Beschäftigen einer Polizeiorganisation widerspiegeln, dann muss zwangsläufig über eine Neuausrichtung vor dem Hintergrund der erwähnten Veränderungsprozesse nachgedacht werden.

Auf Grundlage einer solchen analytischen Betrachtung sollten folgende Bereiche näher beleuchtet werden:

  • Entscheidungsstrukturen sowohl auf der operativen als auch strategischen Ebene (z.B. Vorschriften, Dienstanweisungen, Konzeptionen, strategische Ziele usw.)
  • Regelungen zur Aufbau- und Ablauforganisation (Hierarchiestrukturen, Kommunikationsstrukturen, wirksame Maßnahmen hinsichtlich einer wirksamen Organisationsentwicklung usw.)
  • Regelungen für ein umfassendes zeitgemäßes Personalmanagement (Personalauswahl, Personaleinstellung, Stellenbesetzung, Beurteilung, Personal-entwicklung usw.)

Personalgewinnung

Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der sozialen Medien im digitalen Bereich und den veränderten Erwartungshaltungen der in den letzten zwei Jahrzehnten darin aufgewachsenen Generation ergeben sich für die Personalgewinnung in der Polizei neue Herausforderungen.

Hier steht zentral die Sicherstellung der Attraktivität der Polizei als moderner Arbeitgeber im Mittelpunkt der Betrachtung, wobei ein Gleichgewicht zwischen den Erwartungshaltungen junger Bewerberinnen und Bewerbern und den Anforderungen an den Polizeiberuf hergestellt werden muss. In der Nachwuchswerbung muss demzufolge verstärkt der Wunsch nach einer Work-Life-Balance, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und einem nachhaltigen attraktiven Berufsbild berücksichtigt und möglicherweise die Organisationskultur dahingehend angepasst werden.

Vor diesem Hintergrund sind die Kriterien bei der Personalauswahl auch zu überdenken, da sich auch die polizeilichen Aufgabenfelder zunehmend heterogener darstellen und die Tendenz zu Spezialisierungserfordernissen möglicherweise unterschiedliche Eignungs- und Auswahlverfahren notwendig machen.

Personalentwicklung

Die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse werden zunehmend in ihrer dynamischen Entwicklung die Personalentwicklung in Polizeiorganisationen beeinflussen. Dabei ist zu beachten, dass die Personalentwicklung alle Maßnahmen umfasst, die zur Förderung und Weiterbildung aller Mitarbeitenden und Führungskräften dienen. Damit wird die Absicht verfolgt, durch die Förderung der Talente und Stärken der Mitarbeitenden zum langfristigen Erfolg hinsichtlich der Organisationsziele beizutragen.

Aufgrund der komplexen Veränderungsprozesse wird die eher funktions- und hierarchiegeprägte Personalentwicklung in eine kompetenzorientierte Personalentwicklung überführt werden müssen, die von folgenden Punkten geprägt sein sollte:

  • Verankerung des Prinzips des lebenslangen Lernens in der Organisationskultur
  • Sicherstellung eines Erfahrungs-, Werte- und Wissenstransfers
  • Eröffnung von horizontalen Karrierepfaden durch individuelle Förderungen von Talenten und Stärken der Mitarbeitenden
  • Implementierung von Coaching- und Mentoringkonzepten
  • Eröffnung der Partizipation von Mitarbeitenden am Führungsprozess

In diesem Zusammenhang sollte die demografische Entwicklung in der Personalentwicklung berücksichtigt werden. Viele ältere Beschäftigte in der Polizei stehen den neuen Herausforderungen und Veränderungsprozessen besonders im Bereich der Digitalisierung skeptisch gegenüber. Die Dynamik der Veränderungsprozesse verläuft in einer solch rasanten Geschwindigkeit, dass oft eine Überforderung eintritt oder die bewährte Werteorientierung nicht mehr mit den Auswirkungen der Veränderungsprozesse übereinstimmt.

Neben der Förderung einer altersgerechten Fortbildung sollte durch eine gelebte Vertrauens- und Respektkultur das Erfahrungswissen gewinnbringend in den dienstlichen Alltag mit eingebaut werden.

In einer weiteren Betrachtung ist auch die Thematik der Diversität bei der Personalentwicklung zu beachten. Die soziale Zusammensetzung der Beschäftigten in der Polizei stellt sich zunehmend als heterogen dar, die bei den Maßnahmen der Personalentwicklung zu berücksichtigen sind. Die Vielfalt der Beschäftigten wird dabei durch das Alter, die Geschlechtsidentität, ethnische Herkunft, soziale Herkunft, Religion und Weltanschauung geprägt.

Rollenverständnis von Führungskräften

In den bisherigen Betrachtungen wurden vorrangig die Auswirkungen der gesellschaftlichen Veränderungsprozesse im Bereich der systemisch-strukturellen Führung betrachtet. Es jedoch genauso so wichtig, die Herausforderungen im Bereich der personal-interaktiven Führung zu erkennen.

In den bisherigen Ausführungen wurde bereits aufgezeigt, dass der Führungsprozess besonders vor dem Hintergrund digitaler Veränderungsprozesse strukturell neu ausgerichtet werden müsste, wobei insbesondere die Rolle der Führungskraft neu definiert werden sollte. Es kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Führungskraft bei der Gestaltung des Führungsprozesses komplexe Verfahrensschritte in ihren Wirkungen und Verläufen umfassend planen und abschätzen kann. Die Rolle des alleinigen Entscheiders wird sich zu einem neuen Rollenverständnis fort entwickeln, bei dem die folgenden Aspekte zunehmend an Bedeutung gewinnen:

  • Die Rolle als Moderator
  • Die Rolle als Berater
  • Die Rolle als Mentor
  • Die Rolle als Konfliktmanager

Diese Aspekte wurden auch schon in der Vergangenheit den Führungskräften im Rahmen ihrer Führungskompetenz zugeordnet, jedoch werden diese im Zusammenhang mit den Veränderungsprozessen an grundsätzlicher Bedeutung gewinnen. Wie sich dies im Detail darstellt und welche Wechselbeziehungen dabei bestehen, muss in einer eigenen Betrachtung geschehen.

Aus- und Fortbildung

Die durch die beschriebenen Veränderungsprozesse verursachten Auswirkungen auf die personal-interaktive und systemisch-strukturelle Führung indiziert auch ein Nachdenken über eine zeitgemäße Neuausrichtung der Aus- und Fortbildung. Die Corona-Pandemie hat in diesem Bereich auf dem Gebiet des E-Learnings und der online-basierten Lernmöglichkeiten wie ein unerwarteter Beschleuniger gewirkt, wobei neben vielen Vorteilen auch einige Nachteile sichtbar wurden.

Die digitale Lerninfrastruktur kann durch eigenverantwortliches Lernen und den selbst-gesteuerten Wissenserwerb zu einer höheren Eigenmotivation der Lernenden beitragen. Nach ersten Erkenntnissen werden die digitalen Lernmöglichkeiten gerade von jüngeren Lernenden geschätzt, da dadurch der klassische passive Frontunterricht reduziert wird. Gleichzeitig muss aber darauf hingewiesen werden, dass auf dem Gebiet der digitalen Infrastruktur und der zeitgemäßen Anpassung von Studien-, Lehr – und Fortbildungs-konzeptionen noch vieles verbessert werden muss. In einer weiteren Grundüberlegung wäre auch zu prüfen, wie die notwendigen polizeipraktischen Inhalte und die affektiven Aus- und Fortbildungsziele zielführend in diesen Gesamtkontext eingebaut werden können. In diesem Zusammenhang sollte auch das Prinzip des lebenslangen Lernens bzw. der altersgerechten Gestaltung von Fortbildungsangeboten intensiver in die Gesamtbetrachtung aufgenommen werden.

Fazit

In den Ausgangsbetrachtungen wurde die Frage aufgeworfen, ob durch eine einzelne Führungskonzeption in der Tradition des Kooperativen Führungssystems wirkungsvoll den Herausforderungen für die Führung in der Polizei begegnet werden kann.

In einer weiteren Betrachtung wurden in Grundzügen die absehbaren Führungsheraus-forderungen beschrieben, die sich aufgrund der dynamischen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse in der sogenannten „VUCA“-Umwelt ergeben. In dieser Betrachtung wurden die Bereiche Digitalisierung, Organisationskultur, Personalgewinnung, Personalentwicklung, Rollenverständnis und Aus-und Fortbildung dahingehend in einem ersten Überblick beleuchtet, wie sich die gesellschaftlichen Veränderungsprozesse jeweils auswirken.

Es ist dabei deutlich geworden, dass die Auswirkungen der beschriebenen Veränderungsprozesse einen sehr dynamischen Verlauf nehmen, die man zurückblickend bisher so nicht feststellen konnte. Diese Entwicklung wirkt sich gleichermaßen auf die personal-interaktive als auch die systemisch-strukturelle Führung aus. Daraus ergibt sich die grundlegende Fragestellung, ob eine spezielle Führungskonzeption umfassend Lösungsmöglichkeiten für alle denkbaren Führungsherausforderungen aufzeigen kann.

Diese Möglichkeit wird durch den Verfasser eher als unwahrscheinlich angesehen, da die Komplexität der Veränderungsprozesse als auch die Bandbreite der beschriebenen Bereiche in ihrer Wechselwirkung dem entgegensteht. Es ist eher davon auszugehen, dass die Entwicklung eines professionellen Führungsverständnisses dazu beitragen kann, dass Führungskräfte den Auswirkungen der beschriebenen Veränderungsprozesse wirkungsvoll entgegentreten können. Vor diesem Hintergrund wird es selbstverständlich von großem Nutzen sein, unterschiedliche Führungskonzeptionen und -modelle zu kennen. Diese Kenntnisse werden aber nur dann für eine erfolgreiche Bewältigung des Führungsalltags geeignet sein, wenn man diese auch situations- und adressatengerecht in komplexen Führungssituationen anwenden kann.

Es bietet sich an, die Bereiche Digitalisierung, Organisationskultur, Personalgewinnung, Personalentwicklung, Rollenverständnis und Aus- / Fortbildung hinsichtlich der Auswirkungen von den beschriebenen Veränderungsprozessen einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Darauf aufbauend könnten dann die geeigneten Führungsinstrumente beschrieben werden, die im Rahmen eines professionellen Führungsverständnisses sowohl in der direkten, aber auch in der indirekten Führung die gewünschten positiven Wirkungen entfalten könnten. Sollten interessierte Lesende in diesem Zusammenhang Ideen und Anmerkungen haben, so wäre der Verfasser dankbar, wenn diese mitgeteilt würden.